Plan der Kolonie Königsau (Rivne, Geb. Lviv). 1812
Die Teilungen Polens durch Österreich, Preußen und Russland wurden zu einem Wendepunkt in der Entwicklung Ostmitteleuropas. Galizien fiel an das Kaiserreich Österreich und bekam den Status Königreich Galizien und Lodomerien (1772). Das Einwanderungspatent von Maria Theresia (1774) gewährte Österreichern und katholischen Ausländern das Niederlassungsrecht an beliebigen Orten Galiziens. Protestanten durften nur in einige Städte ziehen. Das Ansiedlungspatent und das Toleranzpatent Josef II. von 1781 gewährten ihnen gleiche Rechte auf Ansiedlung und Glaubensfreiheit. Die österreichische Regierung verfügte über ehemalige Ländereien des polnischen Königs, des 1773 aufgelösten Jesuitenordens und der 1782 säkularisierten Klöster, konnte deshalb nur vereinzelt kleine Kolonien anlegen. Die wichtigsten Auswanderungsregionen waren die Pfalz, Hessen, Württemberg, Baden. Die Einwanderung erfolgte über Ulm auf der Donau („Ulmer Schachteln“) bis Wien und weiter auf dem Landweg nach Galizien.
1782–1802 kamen nach Ost-Galizien 3 332 Familien (15 019 Personen). Darunter waren auch Mennoniten aus der Pfalz, die sich in der Nähe von Lemberg niederließen. Es gelang nur selten monokonfessionelle Siedlungen zu gründen. Auf Landzuteilung musste jahrelang gewartet werden. Unzufriedene zogen mitunter in die Bukowina oder nach Russland weiter. Während der zweiten Ansiedlungsphase (1802–1805) hat die Regierung kaum kompakte Siedlungen gebildet. Handwerker ließen sich in aufgegebenen Wirtschaften oder in ukrainischen Dörfern nieder. Es kamen 629 Familien vom linken Rheinufer, das an Frankreich fiel, und 603 Familien aus österreichischen Besitzungen. Sie siedelten sich vorwiegend auf Ländereien polnischer Grundbesitzer an und bekamen, anders als Einwanderer der ersten Phase, keine staatliche Unterstützung. 1808 zählte man in Ost-Galizien 104 Kolonien. Zu den besten gehörten Brigidau, Dornfeld, Falkenstein. 1811–1848 kamen ca. 400 Familien aus Böhmen. Sie gründeten 22 Kolonien. 1846 zählte man in den deutschen Kolonien 49 300 Personen. Davon waren 23 600 Lutheraner aus der Pfalz und 13 800 Katholiken.
Im gesellschaftlichen und kulturellen Leben des Königreichs dominierten die von Beamten, Militärs und Unternehmern mitgebrachten Wiener Gepflogenheiten. Spürbar war auch der Einfluss von Dresden und Paris, zu den sich polnische Magnaten hingezogen fühlten. Auf die deutschen Kolonisten und Handwerker hatte das keinen Einfluss. Ab 1774 gab es Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache, die auch für die ortsansässige Bevölkerung zugänglich waren. In Lemberg gab es ab 1778 eine Muster-Hauptschule, welche ab 1787 zu einer deutsch-jüdischen wurde. In den deutschen Kolonien wurden die ersten Schulen 1786 eingerichtet, der Schulunterricht wurde aber erst ab 1848 obligatorisch.
1867 bekam Galizien die Autonomie. Ab 1869 galt Deutsch als dritte Landessprache (nach Polnisch und Ukrainisch). An der Lemberger Universität war Deutsch die Unterrichtssprache bis 1870. Als Amtssprache verblieb Deutsch nur noch beim Militär und der Eisenbahn und büßte seine Bedeutung ein. Die sich verstärkende Polonisierung hatte eine beträchtliche Auswanderung nach USA und Kanada (1880er Jahre) und nach 1900 in die preußische Provinz Posen zur Folge. 1903 haben 130 Vertrauensleute der lutherischen Bevölkerung in einer Beratung beschlossen Galizien nicht zu verlassen. Auf der Welle des erwachenden Nationalbewusstseins wurden ein Kinderheim (Stanislau, 1904), ein Studentenwohnheim (Lemberg, 1905), Schul-, Jugend-, Frauenvereine u.a. gegründet. Eine der führenden Persönlichkeiten dieser Bewegung war Pastor Theodor Zöckler (1867–1949) in Stanislau. Auf der Beratung von 300 Vertretern der Katholiken und Lutheraner (1907) wurde der „Bund der christlichen Deutschen in Galizien“ gegründet. 1909–1914 bestand er aus 108 Ortsgruppen (4 000 Mitglieder). 1910 gab es insgesamt 26 deutsche Volksschulen (114 Mal weniger als polnische).
Während des Ersten Weltkrieges lagen die deutschen Dörfer im Kampfgebiet (Brusilows Durchbruch). Die vollständige Deportation der deutschen Bevölkerung nach Sibirien (1915) kam wegen des raschen Rückzugs der russischen Armee nicht zustande. 1919–1939 gehörte Galizien zu Polen. Dem Molotow-Ribbentrop-Pakt entsprechend wurde Ost-Galizien der UdSSR überlassen und die deutsche Bevölkerung (ca. 55 000 Personen) administrativ in den von Deutschland besetzten Warthegau zu dessen Germanisierung umgesiedelt.