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Deutschtum in ostgalizischer Gegend Dolyna und Kalusch

Als seinerzeit die Nachricht über den Beginn deutscher Bewegung in Galizien von unserem Verein in deutschen Ländern eintraf, rief sie eine riesige Freude hervor. Denn in Deutschland wusste man außer den Mitgliedern des Vereins „Deutsche im Ausland“ und des Gustav-Adolfs-Werks fast gar nichts über die Existenz deutscher Siedlungen im slawischen Galizien. Erst in dieser Zeit wurden wir in Deutschland und Österreich beachtet oder man fing an, über uns und unsere Umstände ernsthaft nachzudenken. Und als sich dies einstellte, war man verwundert über die Anzahl hiesiger deutscher Siedlungen und hiesiger Deutscher. Diese Länder gaben offen zu, dass sich die Situation um die Kenntnisse über unsere Lage dank der Arbeit der Verbände verbessert hat und dass man sich über das Ausbleiben dieser Kenntnisse nicht wundern musste, weil auch wir keine genauen Vorstellungen hatten, wie viele unsere Menschen sich in diesem Land angesiedelt hatten. Oder wusste man in den evangelischen Kolonien, wieviel es deutsche katholische Siedlungen gab? Oder was wusste man über uns? Hatten die Deutschen in Westgalizien eine genaue Vorstellung über ihre Landsleute im ruthenischen Osten oder wusste man in ostgalizischen Dörfern etwas über die deutschen Gemeinden im Westen Galiziens? Nur die Tätigkeit des Vereins und des Deutschen Volksboten brachte die für Galizien notwendige Aufklärung und ihre Aufgabe bestand künftig darin, unser Volk über alle Teile dieses Gebiets zu unterrichten, wo es deutsche Siedlungen und das Deutschtum gab. Deutsche aus anderen Ländern verhielten sich uns, Galiziendeutschen, gegenüber als zu einem „vergessenen Stamm“, und in diesem Gebiet selbst waren wir eine „nicht beachtenswerte Größe“. Das war auch dadurch zu erklären, dass es Deutschen, die in diesem Gebiet lebten, bis vor kurzem an Einigkeit fehlte und sie traten nie als „vereintes Ganzes“ auf, daher wurden sie als nicht beachtungswerter Bestandteil hiesiger Bevölkerung empfunden, dessen Interessen auch nicht berücksichtigt werden mussten.
 
Als ein Wissenschaftler, der sich gut in dieser Materie auskannte, in einem großen und bedeutenden polnischen Werk die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Galiziens ausführlich beschrieb, erwähnte er uns Deutsche nur in den Anmerkungen! „Deutsche katholische Siedler verzichten in ganz Galizien auf ihr Deutschtum und werden polonisiert, Evangelische reisen in Mengen aus.“ Und all das wurde gesagt über unseren starken Verein, der sich um dieses Land und seine Menschen kümmert! Doch diese Behauptung zeigt eher die Intention des Autors denn den wirklichen Stand der Dinge. Die protestantische Emigration ist zurückgegangen und die Gleichgültigkeit gegenüber unseren katholischen Landsleuten gehört der Vergangenheit seit der Zeit, als hier der Bund der christlichen Deutschen gegründet wurde.
 
Früher galt fast zweifellos, dass kleine deutsche Kolonien, die in diesem Gebiet verstreut waren, irgendwann von den Slawen völlig vereinnahmt werden. In einem bekannten deutschen Geograophielehrbuch, das früher sehr verbreitet war, stand in einem Abschnitt über das Kronland Galizien folgendes: „Deutsche Kolonisten, die in diesem Gebiet leben, haben ihr Deutschtum nicht beibehalten. Ich habe deutsche Siedler in Galizien gesehen,“ schreibt der Beobachter. „Man konnte überall sehen, wie schnell sie slawische Gewohnheiten, die Sprache und Volksbräuche übernommen haben. Deutsche Siedler in Ruthenien weichen der unausweichlichen Transformation und sie sprechen einwandfrei Ruthenisch.“ Dieser „Beobachter“ hat übereilte und sehr einseitige Schlussfolgerungen gezogen. Er hat alle Eindrücke, die er dort und da sammelte, verallgemeinert. Anderen Menschen ist aufgefallen, mit welcher Entschlossenheit Deutsche in vielen Gegenden Galiziens ihre Sprache und ihr Brauchtum wahrten. Dies gilt gerade für unsere Siedlungen in Ruthenien und Ostgalizien. Sicher sprach jeder deutsche Bauer hier einwandfrei ruthenisch. Aber ihrer ethnischen Identität tat das keinen Abbruch. Zum Beispiel, wenn wir uns in einem ostgalizischen Städtchen umschauen, in welches wir unseren Leser begleiten würden, kommen wir in deutsche Siedlungen Dolyna und Kalusch. Und wir können hier tatsächlich die „Übernahme slawischer Sitten“ bemerken, aber wir können auch feststellen, dass Deutsche, wenn sie auch ganz kleine Gruppen bildeten, über hundert Jahre in einer anderssprachlichen und andersethnischen Umgebung leben konnten und der Beobachter würde keine besonderen Einbußen an ihrer ursprünglichen ethnischen Identität feststellen. Und Universitätsprofessor Dr. Kaindl-Czernowitz, der vor einem Jahr unsere Gegend besuchte, schrieb in seinem Bericht, den er an eine kaiserliche deutsche Zeitung schickte: „Wem ist in unserer deutschen Heimat bekannt, dass man im weit entfernten Galizien fast jede Stunde unterwegs ein deutsches Dorf treffen kann, dass es in Galizien Gegenden gibt, wo Reisende mehrmals in deutsche Siedlungen kommen, in denen deutsche Mundart erklingt? Und wenn du, Reisender, hierher aus Schwaben oder vom Rhein kommst, hörst du hier echte schwäbische Mundart, sieht schwäbische Gepflogenheiten und Sitten und hörst deutsche Lieder, die auch bei uns in der Heimat gesungen werden!“ – die Beschreibung dieses Reisenden passt am besten zum großen Teil des Gebiets, von dem wir sprechen.
 
Beide Gegenden, die wir erwähnten, Dolyna und Kalusch, nehmen gemeinsam eine Fläche von: 2.517 + 1.174 = 3.691 km2. Das heißt, wir untersuchen ein Gebiet, dessen Fläche ein Drittel der benachbarten Oblast, der Bukowina, ausmacht. Im Norden stößt es an ein Territorium, das einem Dreieck ähnelt und mit seinen Spitzen an den Dnestr reicht und die Südseite an Ungarn angrenzt.
 
Der südliche Teil dieser Landschaft ist eine dünn besiedelte bergige Gegend in den Karpaten, wobei die nördliche Hälfte dichter besiedelt ist und eine flachere Oberfläche hat. Zumindest bergige Teile bieten echt wunderschöne Ansichten. Zum Beispiel, welch herrliche Landschaft öffnet sich im Tal des Flusses Swytscha bei Wyhoda und Engelsberg! Welch schöne Lage hat Ludwikówka und höher gelegene Dörfer! Ein Reisender sagte über den bewaldeten Teil des Karpatengebirges, der hier eine natürliche Grenze zwischen Galizien und Ungarn bildet: „Diese dünn besiedelten Berge sind wohl die menschenleerste Gegend in Mitteleuropa.“ Aber für ihre lautlose Einsamkeit werden diese wilden Orte von Naturliebhabern besonders geschätzt.
 
In der Gegend, die wir beschreiben, gibt es keine große Stadt. 
Die Ortschaften Bolechiw, Dolyna und Kalusch, die von besonderer Bedeutung für den Viehhandel sind, sind auch Hauptstationen der Eisenbahnstrecke Stryj-Stanislau, die diese Gegend überquert.
Die Gegend Dolyna zählt 87 Gemeinden, in denen 105.262 Personen leben (Gerichtsbezirk Bolechiw – 30.863, Dolyna – 44.703 und Rożniatów - 29.696). Die ethnische Zusammensetzung der hiesigen Bevölkerung ist wie folgt: Ruthenen – 77.223, Juden – 13.919, Polen – 8.579 und Deutsche – 5.541. Deutsche machen ca. 5 Personen pro 100 Einwohner aus.
In der Umgebung Kalusch gibt es 70 Gemeinden, in denen 87.161 Personen leben (Gerichtsbezirk Kalusch – 62.515, Wojnyliw – 21.946), davon 69.682 Ruthenen, 8.784 Juden, 7.295 Polen und 1.400 Deutsche. In der Gegend Kalusch gibt es 16 Deutsche pro 100 Personen.
 
Wenn wir die Bevölkerung in den beiden Gebieten zusammenrechnen, macht das 192.423 Personen. Die Anzahl der Deutschen in den beiden Städtchen – 6.941 Personen, das bedeutet, dass die Anzahl der Deutschen insgesamt nicht mehr als 4 pro Hundert darstellt. Doch die Ansiedlung der deutschen Bevölkerung ist so, dass im gesamten Kreis Deutsche anzutreffen sind. Am dichtesten ist die Kreisstadt Dolyna von Deutschen besiedelt und die Stadt ist von einem Kranz deutscher Dörfer umringt. In der von uns erforschten Region gibt es 17 deutsche Siedlungen und 17 Gemeinden, wo eine deutsche Minderheit vorhanden ist. Dabei werden ruthenische Dörfer nicht mitgezählt, in denen einzelne deutsche Handwerker- oder Müllerfamilien wohnten.
 
Wenn man die Geschichte hiesiger deutscher Siedlungen untersucht, so kann man diese in drei Gruppen aufteilen: Josephinische Siedlungen, deutsch-böhmische Kolonien und Tochterkolonien, die deutsch-galizischen Dörfern entsprungen sind. Auf Erlass von Kaiser Joseph II. wurden Kolonien Ugartsthal (1783), Neu-Kalusch (1784), Landestreu (1787) und Hoffnungsau (1786) gegründet. Deutsche Reichsgebiete, die durch die vom Kaiser aufgerufenen Siedler früher bevölkert wurden, können nur auf Grund von Umsiedlerpatenten festgestellt werden, die sich in Wien befinden, aber diese Aufgabe hat bis jetzt niemand übernommen. Mündliche Überlieferungen über die Heimat sind unzuverlässig. Als man Siedler befragte, gaben sie fast immer an, dass ihre Urgroßeltern aus „Deutschland“ gekommen waren. Die Mundart aus dem Dorf Ugartsthal kann über die hessische oder schwäbische Herkunft der Siedler zeugen, dabei stammten die Vorfahren der Bewohner von Landestreu fast sicher aus Schwaben oder teilweise aus der Umgebung von Frankfurt-am-Main. Mindestens sieben Dörfer im Kreis Dolyna wurden von Deutschen aus Westböhmen gegründet, und zwar Teresówka (1818), Neu-Mizun (1844) und Jammersthal (1848). Die Siedlung Engelsberg feierte gerade das 100-jährige Bestehen. Die Heimat der Engelsberger soll in der Nähe von Mannheim gewesen sein. Debolowka entstand dadurch, dass ein ruthenischer Großgrundbesitzer sein Land aufteilte und an deutsche Siedler verkaufte. Die Geschichte des Dorfes Dolyna-Broczków begann 1835-1838, als 30 deutsche Grundbesitzer aus Ugartsthal, Gelsendorf, Neu-Kalusch und Königsau je 15 Joch Weideland bei der Stadtgemeinde Dolyna kauften. Durch die Umsiedlung der deutschen Familien aus Engelsberg, Dolyna, Kalusch und Bandrów 1844 auf die Ländereien, die ebenfalls der Stadt Dolyna gehörten, entstand die Siedlung Obliska und 1833-1835 Neu-Huziejów in Folge einer Ausgemeindung von Bolechów. Die älteste deutsche Gemeinde in dieser Gegend ist wohl Neu-Babylon bei Bolechów, die zuerst eine jüdische Siedlung gewesen war und später wurde sie in eine deutsche umgewandelt, als der polnische König 1767 Siedler aus Württemberg dorthin eingeladen hat. Die jüngste deutsche Siedlung in diesem Gebiet ist Diamantheim, gegründet erst 1901.
 
Nach dieser allgemeinen Übersicht wandern wir in diese uns einigermaßen bekannt gewordene Gegend weiter und schauen in einige deutsche Dörfer. Unser Ausgangspunkt ist Broczków, das ungefähr in der Mitte des Kreises Dolyna liegt. Das freundliche Dorf erstreckt sich 2 Kilometer lang und besteht zurzeit aus 70 Höfen. In seiner Mitte erhebt sich eine kleine gepflegte Kirche, die erst vor fünf Jahren erbaut wurde und nicht nur für die evangelisch-lutherische, sondern auch für die calvinistische Gemeinde des gesamten Kreises Dolyna als Gotteshaus dient. Dicht an der Kirche befindet sich das Gebäude einer calvinistischen Schule, in der nur 50 Kinder dieses Bekenntnisses aus Broczków lernen. Gegenüber dieser Schule steht eine öffentliche städtische deutsche Schule. Beide Einrichtungen werden sehr gut unterhalten und funktionieren mit großem Erfolg im Bereich der Bildung der Jugend. Die Gemeinde Broczków behielt ihre deutsche Identität bis heute. Von 77 Familien, die zur Gemeinde gehören, sind nur 3 jüdisch, 2 polnisch und 1 ruthenisch. Die konfessionelle Spaltung, die der Einheit unseres Volkes schadet und auch in dieser Gemeinde, die ungefähr in zwei gleiche Hälften aufgeteilt ist, ebenfalls vorhanden ist, doch das Verhältnis der Katholiken gegenüber Protestanten zeigt keine Feindschaft. Sowohl die einen als auch die anderen sind ihren Kirchen treu. Doch der konfessionelle Unterschied stört nicht die gutnachbarliche Verständigung. Diese friedliche Stimmung äußert sich dann, wenn einem verstorbenen Gemeindemitglied die letzte Ehre erwiesen werden soll. Die große Bedeutung der deutschen Bewegung in Broczków wächst immer weiter.
 
Die wirtschaftliche Lage dieser Gegend ist gut. Es gibt nur wenige verschuldete Bauernwirtschaften. Die Nähe der Kreisstadt und einer Eisenbahnstation sowie Beginn der Erdölerschließung schafften für die Eigentürmer außerordentlich vorteilhafte Bedingungen, aber gerade der Fleiß der Bewohner von Broczków und die Einfachheit ihres Lebens  sind die Gründe, denen das heutige Gedeihen der Gemeinde trotz der Kargheit ihrer sumpfigen Böden zu verdanken ist. Ähnlich ist auch die Situation in Obliska, dem vollständig deutschen Dorf, das 50 Höfe und 330 Bewohner zählt, die meisten von ihnen sind katholisch. Obliska gedeiht trotz des großen Brandes, der das Dorf 1893 heimgesucht und teilweise zerstört hat, was zu einem wirtschaftlichen Rückgang geführt hat. Die dortige öffentliche deutsche Schule existiert das neunte Jahr. Dass die Interessen der hauptsächlich deutschen Gemeinde bei der Verteilung der Lehrerstellen nicht ausreichend berücksichtigt wurden, ist eine rechtmäßige Klage. Was deutsche Familien in den Städten, hier und in der gesamten Gegend angeht, ist zu spüren, dass die ethnische Identität nicht ausreichend war, um ihre ethnische Herkunft zu wahren. Dabei bleiben nicht zahlreiche calvinistische Familien, die im ruthenischen Dorf Nowyzja nordöstlich von der Stadt leben, sehr ergebene Angehörige unseres Volkes.
 
Der erste Ort, den wir auf der Reise von Dolyna-Broczków nach Bolechów antreffen, ist das kleine Debolowka, das an der Straße gelegen ist. „Noch eine deutsche Kolonie!“ würde ein Freund des Deutschtums fröhlich und ein Feind dessen verärgert ausrufen, wenn man nach einer halben Stunde der Reise aus Broczków dieses Dorf unterwegs erreichen würde. Das Dorf ist streng calvinistisch, in der Kirche und in der Schule sind nur Deutsche beschäftigt; diese Siedlung steht als Nummer 24 auf der Liste der neu gegründeten Kolonien und ist ausschließlich deutsch. Die Kirchen- und Schulgemeinde des Dorfes, das nur 150 Bewohner zählt, schloss auch die deutsch-calvinistischen Familien ein, die in den ruthenischen Dörfern Knjasholuka, Jaworow und Tjaptsche leben, und somit hat die Gemeinde insgesamt über 200 Mitglieder und über 40 Schulkinder. Es ist verständlich, dass die Gefahr, die der Bund der christlichen Deutschen in einem ethnisch und konfessionell einheitlichen Dorf nicht klar definieren und ihr vorzubeugen versuchte, die Mission des Bundes nicht richtig umsetzen ließ, genauso wie in den Städten, wo diese Gefahr viel deutlicher ausgeprägt war. Doch dank dem Besuch eines wandernden Lehrers am 9. Februar 1910 begann der Bund sich auch um diese Gemeinde zu kümmern. Es wurde eine östliche Gruppe des Bundes gebildet und die Gründung eines Raiffeisen-Hilfskasse ins Auge gefasst.
 
Ein echtes Sorgenkind jedes Deutschen mit einem flammenden Herzen, dem dortige Umstände bekannt waren, war die Siedlung Dąmbrowa, nordöstlich von Debolowka gelegen. Die Situation unserer Landsleute in diesem schwer erreichbaren vernachlässigten Dorf war, wie auch in Broczków, Obliska, Nowyzja und Obolon, die zum Gemeindeverband der Stadt Dolyna gehören, sehr prekär. Einer unserer Landsleute, ein Katholik, der dort über längere Zeit lebte, beschrieb die Lage in Dąmbrowa wie folgt: „Unsere Vorstadt Dąmbrowa befindet sich in einem bedauernswerten Zustand. Es gibt keine eigene Kirche und keine Schule. Die Calvinisten besuchen die Kirche in Broczków, die Katholiken - in Dolyna, das 7 Kilometer von unserem Dorf entfernt ist. Ein Jahr lang war hier eine diplomierte Lehrerin tätig. Aber man hat sie irgendwohin an einen anderen Ort versetzt. Danach gab es keinen Lehrer mehr. Wir haben keinen Religionsunterricht. Es gibt hier 12 römisch-katholische, 9 calvinistische, 2 polnische, 2 ruthenische und 2 jüdische Familien. In der Kirche in Dolyna wird der Gottesdienst nur in polnischer Sprache abgehalten, obwohl fast 2.000 Personen zu dieser Kirchengemeinde gehören. Wie viele deutsche Katholiken leben in Obliska, Broczków, Dąmbrowa, Rachinja, Hoffnungsau und der Stadt Dolyna? Aber in der Kirche hört man kein Deutsch. Kaum jemand von uns kann ein Wort lesen und wir wissen nicht, wohin wir uns wenden sollen. Die Leute wären bereit, den Lehrer selbst zu bezahlen, aber sie müssen Tag und Nacht arbeiten, um zu überleben. Man kann sagen, sie sind echte Tagelöhner. Bald kann man nicht mehr so weiterleben.“
Demjenigen, der unser Volk liebt, bereitet dieser Seelenschrei einen tiefen Schmerz. Menschen, die deutsch weder lesen noch schreiben können und dabei prädestiniert sind, ihr Leben lang religiös abhängig zu sein – das darf unter uns Deutschen nicht sein. Wenn irgendwo Vertreter unseres Volkes darben, so ist es die Schuld des gesamten Deutschtums. Die Beschwerden darüber, dass bei einem katholischen Gottesdienst in Dolyna die zahlreichen Mitglieder der deutschen Gemeinde nicht berücksichtigt bleiben, werden immer lauter. Die katholische Kirche kann keine ergebeneren Gemeindemitglieder haben, als die deutschen Katholiken aus der Region, die wir beschreiben. Warum hört sie nicht die Bitten derjenigen um deutsche Predigten und deutsche Kirchenlieder? Denn dies ist ein tiefes seelisches Bedürfnis, das auf diese Weise nicht befriedigt wird.
 
Ein starker deutscher Bestandteil ist auch im großen ruthenischen Dorf Rachinja, nordöstlich von Dolyna gelegen, zu sehen. Hier gibt es 45 deutsche Höfe, deren Besitzer hundertprozentig römisch-katholisch sind. Bei mehr als der Hälfte dieser Familien ist der Familienvater in Amerika, wo er sehr viel Geld bei einer Fabrik verdient. Dass das reiche Amerika galizischen Deutschen hilft, die Armut oder Verschuldung zu überwinden, ist bekannt. Hier ist es schon zur Gewohnheit geworden, dass junge Männer, die in der väterlichen Wirtschaft nicht benötigt werden, diese hervorragende amerikanische Entlohnung gemäß heutigen Vorstellungen über das Geld nutzen.  Doch in Rachinja sind so viele Familienväter nach Amerika gegangen und die von ihnen gesparten Summen, die sie nach Hause schicken, sind beträchtlich. Zwei Kilometer östlich von Rachinja kann man ein blühendes, sehr deutsches und sehr katholisches Dorf mit einem schönen deutschen Namen „Hoffnungsau“ antreffen. Die 45 deutschen Grundbesitzer, die hier leben, sind hauptsächlich begüterte Menschen. Ihr durchschnittlicher Grundbesitz beträgt 30 Joch. Wir hoffen, dass dem berechtigten Wunsch der Bewohner von Hoffnungsau nach mehr Unterricht in deutscher Sprache in hiesiger Schule in der Zukunft entsprochen wird.
 
Aus Dolyna führt die Eisenbahnstrecke in die Fabriksiedlung Wyhoda. Auf beiden örtlichen Fabriken – der Sägemühle und dem Holzverarbeitungsbetrieb – waren schon immer deutsche Arbeiter beschäftigt. Da die Erzeugnisse der beiden Betriebe heute im Vergleich zu früher immer weniger konsumiert werden, geht die Anzahl der Arbeiter, auch die der deutschen, in den letzten Jahren ständig zurück. 1898 zählten deutsch-protestantische Arbeiterfamilien 300 Personen. Im selben Jahr schlossen sich Deutsche calvinistischen Bekenntnisses der Schulgemeinde an und gründeten eine calvinistische Privatschule mit der Unterrichtssprache Deutsch. Heute ging die Zahl der calvinistischen Gemeindemitglieder um die Hälfte zurück, aber die Schule wurde beibehalten und sie erfüllt ihre Mission – deutsche Kinder im deutschen Geiste zu erziehen, denn außer der Schule kann das nirgendwo sonst gemacht werden.
 
Wenn man dem Tal des schönen Flusses Switscha ungefähr eine Meile südwärts folgt, kommt man in einem freundlichen Gebirgsdorf Engelsberg an. Das wird auf unserer Liste unter der Nummer 27 geführt. Dort leben fleißige Menschen, die ihre calvinistische Kirche und ihr schwäbisches Erbe pflegen und hier im Gebirge ihr von den Vorfahren geerbtes Ackerland im Schweiße ihres Angesichts bestellen. Die Nähe von Wyhoda mit seiner Industrie und die Möglichkeit des Geldverdienens, die hier große Wälder bieten, können zu den Umständen gezählt werden, denen diese einsamen Dörfer ihre heutige Prosperität verdanken. Jeder Stadtbewohner, der mal nach Engelsberg kommen könnte, würde gegenüber diesen glücklichen Menschen, die abgeschieden von dieser Geschäftswelt leben und ihre Tage in der gesunden Gebirgslandschaft verbringen können, neidisch werden oder diese Reisenden werden mindestens wollen, ihren Sommerurlaub hier in Engelsberg zu verbringen. Doch für dieses Ziel fehlen sämtliche notwendigen Voraussetzungen. Wer weiß, vielleicht wird Engelsberg einst ein beliebter Kurort, der durch seine Luft berühmt werden kann. Derjenige, der diesen netten Ort kennenlernt, wird den Weg dorthin gerne finden. Deshalb können die Menschen, die sich in diese Gegend verliebten, nicht gleichgültig gegenüber der Gefahr sein, die seit zwei Jahren das Dorf bedroht: vielversprechende Stimmen, die aus Posen kommen, oder ein echt lukratives Angebot von Polen und Juden machten die Position unserer engelsberger Brüder sehr wackelig und es schien lange Zeit, dass die schöne alte Siedlung verloren geht. Doch da erschien auf der Bühne ein Freund des deutschen Volkes und rettete sie, indem er drei Grundbesitzer, die dringend Geld benötigten, überzeugte, das Land nur an die Deutschen zu verkaufen. Auf diese Weise gelang es zu vermeiden, dass fremde Elemente die alte ausschließlich deutsche Gemeinde unterminieren und es wohl zu einem Beginn ihres Untergangs hätte werden können.
Von den hochgelegenen Äckern hinter dem Gebäude der Engelsberger Schule aus sieht man einen großen Teil des malerischen Flusses Switscha und ein kleines Dörfchen am Hang des gegenüberliegenden Berges, über dessen Bewohner jeder etwas erfahren möchte, dem seine einsame Lage aufgefallen ist. Und das ist ebenfalls eine deutsche Siedlung! Sie wurde 1818 durch einen Großgrundbesitzer mit dem Namen Matkowski gegründet. Zu Ehren seiner Tochter Theresa nannte er die Siedlung Theresiwka. Die Vorfahren der Gemeindemitglieder stammten aus dem böhmischen Kreis Pilsen und heute bildet dieser Ort mit einem kleinen, ein Kilometer weiter südlich an der Eisenbahnstrecke gelegenen Dorf Zaklja, das 121 Bewohner hat (davon 104 Deutsche), eine einheitliche Gemeinde. Früher hat man sich hier mit einer miekrigen Winterschule begnügt. Heute muss eine neue Schule erbaut und ein ordentlicher Schulunterricht eingeführt werden. Der Deutsche Schulbund wird dabei behilflich sein. Und wir können unsere lieben Landsleute in einem noch höheren Gebirgsort besuchen – 12 Kilometer südwestlich von Teresiwka. Das wunderschöne Dorf Ludwikówka, das am Fuß des 1480 Meter hohen Berges Gurgulat liegt, ist ebenfalls deutsch. Die Geschichte dieses und der zwei weiteren deutschen Dörfer Josephstal und Leopoldsdorf wird im Gemeindekalender von 1909 erzählt. Schließlich sollten wir auch eine kleine deutsch-böhmische Kolonie Neu-Mizun am Fluß Mizunka erwähnen, die bereits als Sommerurlaubsort für 100 Personen ausgewählt wurde.
 
Ähnlich wie Dolyna ist Bolechów, die zweitgrößte Stadt des Gerichtsbezirks, eine Art Zentrum von einem Kranz deutscher Dörfer. Die Anzahl der Deutschen in der Stadt, die früher aus den einzelnen selbstständigen Gemeinden Bolechów, Neu-Babylon, Woloska Wies und Bolechów-Ruski bestand, machte 500 Personen aus. In Bolechów leben 5, in Neu-Babylon 13, in Woloska 7 und in Bolechów-Ruski 52 deutsche Familien. In Neu-Babylon wurde die Schule bereits 1827 gebaut. Aber das moderne schöne Schulgebäude wurde 1871 errichtet. Dies ist eine einjährige calvinistische Privatschule, die noch keinen öffentlichen Rechtsstatus und dadurch an ihrer Produktivität in den letzten Jahren eingebüßt hat. Es sei erwähnt, dass die Schule vor der Einstellung des heutigen jungen Lehrers kaum von einem Drittel der Dorfkinder im Schulalter besucht wurde. Doch jetzt arbeitet man an der Erweiterung der Schule fleißig weiter. Vielleicht klappt es, auch die Unterstützung von Seiten des Staates zu erhalten. Eine schöne calvinistische Kirche in Neu-Babylon wurde 1870 ausgebaut, sie zeichnet sich durch einen sehr schön geschnitzten Altar – das Meisterwerk eines deutschen Tischlers aus Bolechów - und eine hervorragende Darstellung des Golgatha, die von einem Gemeindemitglied gestiftet wurde, aus.
 
Aus den Jahren 1833-1835 stammt der Ort Huzijów, eine von den deutschen Familien aus Bolechów gegründete Tochterkolonie, die ostwärts von der Stadt liegt. Es gab Zeiten, als die Anzahl der deutschen Familien in Alt-Huzijów 20 und in Neu-Huzijów 14 erreichte. Doch bereits 1898 begann eine sehr rege Emigrationsbewegung, so dass nur die Hälfte von diesen Familien geblieben ist. Die anderen sind in die Neue Welt gezogen. Noch ein paar Jahre davor wurde in der dortigen Schule noch Deutsch gelernt. Aber heute trifft man dort nichts Deutsches an. Durch diesen Mangel machen unsere Landsleute den Eindruck, in ihrer Sprache zurückzubleiben und ihre Liebe zur Heimat zu verlieren, dabei hegen sie den Gedanken nach Emigration.
Nordwestlich von Bolechów, fast an der Grenze des Bezirks, liegt Pöchersdorf, eine deutsch-katholische Siedlung, wo jetzt 210 Personen leben. Die Deutschen aus dem benachbarten ruthenischen Ort Niniów-Górny – 14 Familien – stammen aus Pöchersdorf. Das nach menschlichen Seelen gierige Amerika hat bereits 25 Leute aus diesem Dorf geraubt. Die Bedürfnisse der jetzt 35 Schüler befriedigt deutsche Privatschule, die im Wohnhaus eines Gemeindemitglieds untergebracht ist, aber bald zieht sie in das gerade im Bau befindliche Gebäude ein. In der hiesigen Kapelle, die seit 1870 existiert, wird mindestens von Zeit zu Zeit in deutscher Sprache gepredigt, was eine große Freude hervorruft. Im letzten Jahr kam eine traurige Nachricht aus Pöchersdorf: die karge Wintersaat, die gut aufgegangen war, wurde von Hirschen, die dort in Scharen weiden, völlig ausgetreten. Wegen verlorener Hoffnungen und erlittener Schäden bekam dieses bedauernswerte Dorf einen Namen, den ein anderer kleiner Ort 15 Kilometer südwestlich von diesem seit jeher trug: Jammerstal. Das andere Jammerstal besteht aus 15 Höfen und gehört politisch zu einem ruthenischen Dorf Polonizja. Doch die Gemeinde Jammerstal, die nur 98 Personen zählt, schickt ihre 20 Kinder nicht in die ruthenisch-polnische Schule nach Polonizja, sondern hält sehr an ihrem deutschen Privatlehrer, dessen Lohn auch vom Deutschen Schulverein mitbezahlt wird, fest.
Das jüngste Produkt der deutschen Kulturarbeit nicht nur in diesem Bezirk, aber auch im gesamten Gebiet war die Siedlung Diamantheim bei Turza Wielka. Der Name klingt erhaben und erinnern an Diamantenminen in Deutsch-Südwestafrika, deshalb würden die Einwohner ungern die Hoffnung auf einen guten Eindruck enttäuschen. 40 deutsche Familien, die diese junge Gemeinde bilden, zogen seinerzeit in die Besitzungen eines Herrn Isaak Diamantstein – daher kommt der Name. Alles, was die deutsche Kraft und der deutsche Fleiß binnen kurzer Zeit zustande bringen kann, zeigt diese neue Siedlung. Dass eine ähnliche Metamorphose, die während der 10 Jahre diese menschenleere Gegend erfahren hatte und in ein schönes Dorf verwandelt wurde, viel Arbeit und Schweiß kostete, ist eine offensichtliche Tatsache. Das Auge weidet am Blick der neuen Wohn- und Wirtschaftsgebäude im neugegründeten Dorf! Heute ist die Lage der fleißigen Dorfbewohner noch nicht ganz unbetrübt, aber sie schauen mit Hoffnung in die Zukunft. Die Entwicklung der jungen Gemeinde, die hauptsächlich deutsch und calvinistisch ist, wurde etwas gebremst dadurch, dass die Gemeinde keine politische Unabhängigkeit hatte. Sie gehört zur ruthenischen Gemeinde von Turza Wielka. Der Wunsch nach einer unabhängigen Schulgemeinde, der Abschluss des begonnenen Baus eines Gemeindehauses, der wegen des Ausbleibens notwendiger Mittel eingestellt wurde, und das ordentliche Gemeindeleben – all das sind die Aufgaben, deren Bewältigung noch viele Bemühungen abverlangen wird. Übrigens: wenn jemand die Lage einer deutschen Gemeinde in dieser Gegend eingehend studieren will, kann sich überzeugen, dass die Stimmung fröhlicher geworden ist und wenn man auch weiter am alten grundlegenden Gesetz – „Arbeite und verzweifle nicht!“ – festhalten könnte, so würde man nicht nur das beibehalten, was bereits erreicht wurde, sondern es auch von innen festigen kann. Hoffnungen darauf bleiben, auch dank der Tatsache, dass man hier beim Besetzen von Schlüsselfunktionen keine Voreingenommenheit gegenüber deutscher Bevölkerung hat, wobei an anderen Orten dieses Bezirks das Leben in dieser Hinsicht doch sehr schwierig ist.
 
Was den Bezirk Kalusch angeht, so hat das hiesige Deutschtum in den letzten Jahren beträchtliche Einbußen durch die Emigration erfahren. Die Siedlung Zbora bei Kalusch gab ihre Existenz auf. Das Ende des Dorfes bedrückt uns besonders stark, da das Dorf aufgelöst wurde, als gerade ein neues Schulgebäude errichtet wurde. Die Gruppe deutscher Familien in Tomasziwci verschwand völlig. Das alte deutsche schöne Pfarrdorf Ugartsthal ist heute nicht mehr ganz deutsch und das Dorf Landestreu, das früher eine echte Perle unter schwäbischen Siedlungen dieser Region war, ist heute zur Hälfte von den Masuren besiedelt!
Ugartsthal hat heute 450 Einwohner: 391 Deutsche calvinistischen Bekenntnisses, 45 Polen und 14 Juden. Zur calvinistischen Gemeinde gehören jedoch auch deutsche Familien, die im benachbarten ruthenischen Dorf Siwka-Kaluszka leben, so dass die Gemeinde nun 455 Mitglieder zählt. Die calvinistische Kirche zieht die Aufmeksamkeit auf sich, denn sie ist ein Neubau.  Außerdem begann Ugartsthal auch ein neues Bethaus einzurichten, was ein weiterer Beweis dafür ist, dass diese Siedlung noch nicht im Untergang ist. Dortige private Volksschule war einst ein Zentrum des deutsch-calvinistischen Geistes. Wenn die Siedlung vollständig genesen wird, so werden die Bemühungen für ihre Wirtschaftsentwicklung das wenigste Bedürfnis sein. Dass die Wirtschaftslage in den letzten Jahrzehnten schwierig geworden ist, hat mehrere Gründe. Der Grundbesitz der Gemeinde war früher größer. Viel gutes Ackerland ging aus dem deutschen in den ruthenischen Besitz über. Schulden zwangen die Menschen, ihren Grund und Boden zu verkaufen. Die Habgier jüdischer Wucherer verschlang viel mehr, als die schwere Bauernarbeit bringen konnte. Da die benachbarte Kreisstadt Kalusch klein und schwach bevölkert war, fehlte es den Bauern von Ugartsthal an Möglichkeiten, ihre landwirtschaftlichen Produkte dort zu verkaufen. Dazu musste auch der Mangel an Arbeitshänden und immer größer werdende Lohnansprüche ruthenischer Tagelöhner gezählt werden. Dann ist es auch kein Wunder, dass viele Leute unter solchen Umständen ihren Mut verloren, denn der frühere enge Beistand unter Bauern, der mit der deutschen Bewegung gekommen war, schwand. Die östliche Gruppe des Bundes der christlichen Deutschen richtete Raiffeisen-Hilfs- und Kreditkassen ein, um bei dieser Geldnot irgendwie zu helfen, und zwei unternehmungslustige Grundbesitzer aus Ugartsthal gründeten eine Molkerei, die für das Dorf von immer größerer Bedeutung wurde.
 
Direkt an die Stadt Kalusch grenzt ein deutsch-katholisches Dorf Neu-Kalusch an. Obwohl die Entfernung zwischen den beiden alten deutschen Siedlungen nicht sehr groß ist, hatten die beiden Gemeinden nie eine lebendige Verbindung zueinander. Dies ist ein offensichtlicher Beweis dafür, dass die ethnische Blutsverwandtschaft, wenn sie nicht gepflegt wird, die Hürde des Religionsbekenntnisses nicht überwinden kann. Neu-Kalusch mit seinen 600 Einwohnern gehört zu den größten deutschen Siedlungen in der Region. Aber die deutsche Idee wurde bis jetzt nicht unterstützt, sondern abgelehnt mit der Begründung: „Wir brauchen polnische Sprache genauso wie die deutsche!“ Als ob der Bund dagegen wäre, dass hiesige Deutsche Polnisch erlernen. Es wäre gut, wenn jemand unseren deutschen Landsleuten in Neu-Kalusch den Sinn der Tätigkeit des Bundes erklären würde.
 
Aus Neu-Kalusch zogen 22 deutsche Familien nach Kopanka, ein ruthenisches Dorf drei Kilometer nördlich von Kalusch entfernt. Dortige Kinder haben noch keine Möglichkeit für eine ordentliche deutsche Schulbildung, aber in Neu-Kalusch wird in der öffentlichen Schule Deutsch unterrichtet.
 
Neben Ugartsthal, Neu-Kalusch und Kopanka gibt es in der von uns erforschten Region noch einen Ort, wo man Deutsche antreffen kann: das bereits von uns erwähnte Landestreu. „Wenn man vom Bahnhof in Kalusch ungefähr anderthalb Stunden zu Fuß läuft, nähert man sich den Berghängen von Landestreu. Vor uns breitet sich eine wunderschöne Aussicht. Wir bleiben unbewusst stehen, bezaubert von dieser Schönheit. Inmitten von prächtigen Wiesen ragen dichte Obstgärten empor, aus denen gepflegte Häuser, die Villen ähneln, hervorschauen. Ein schönes kleines Dorf.“ So schreibt in der Maiausgabe des „Volksboten“ ein Autor, der Landestreu kurz besucht hat. Dieses Dorf wurde 1787 auf Erlass des Kaisers Joseph II. gegründet und erlebte eine wechselhafte Geschichte. Die Bedingungen für die Umsiedlung waren vorteilhaft. Die Gemeinde erhielt ein großzügiges Recht, Wald zu nutzen. Auch eine Quelle mit Salzwasser auf dem Gelände von Landestreu erhöhte den Wert dieser Siedlung. Die Bewohner unterschieden sich durch ihren praktischen Sinn und Religiosität. Obstanbau und Imkerei wurden planmäßig betrieben, der Ort war einer der ersten in diesem Gebiet, wo eine Wasserleitung verlegt worden war. Fleißige deutsche Lehrer brachten den Unterricht in der Volksschule auf ein Niveau, das selten sogar in gewöhnlichen Kreisschulen erreichbar war. Eine Reihe von landestreuer Kinder erhielten im späteren Leben hohe Positionen. Die Glockengießerei machte den Namen „Landestreu“ bekannt im ganzen Galizien, denn die Nachfrage nach Glocken war enorm. Die Phantasie lässt die berühmte Vergangenheit des Dorfes leicht wiederherstellen, aber die Gegenwart erweist sich als ziemlich traurig. Landestreu wurde zu einer Ruine. Von 66 Höfen, die es früher gab, blieben nur noch 30! Zusammen mit den deutsch-calvinistischen Familien, die im benachbarten ruthenischen Dorf wohnen, zählt die Gemeinde 300 Personen. Den Untergang einer früher blühenden Siedlung setzten weitere Unbilden fort. Einer nach dem anderen wüteten hier Brände, dann kamen Hungersjahre! Dazu trugen auch noch die Umstände bei, von denen wir bereits gesprochen haben, als der Untergang der Gemeinde Ugartsthal beschrieben wurde. „In der Stunde der Verzweiflung, - erzählt ein Bewohner von Landestreu, - als mehrere Gemeindemitglieder in einer ausweglosen Lage waren, kam ein Agent aus Posen nach Landestreu. Ihm gelang es, die Leute zum Umzug nach Posen so zu überreden, dass sogar andere Werber, die es hier gab, auseinanderliefen. Nun fiel es dem Agenten nicht schwer, Annoncen in polnischen Zeitungen aufzugeben, dass in Landestreu Land verkauft wird. Die Masuren kamen in Scharen und kauften den Bauern, die in größter Not waren, ihre Höfe ab. Aber als die Dorfbewohner erfuhren, dass ihre Umsiedler keine Grundstücke in Posen erwerben konnten, ging die Mehrheit von ihnen nach Kanada, wo noch früher viele ihrer Landsleute sesshaft geworden waren.“ Nach fünf Jahren erwachte bei denjenigen, die noch geblieben sind, die Liebe zu ihrem Dorf wieder, obwohl es auch schon gelitten hat, weil es nicht mehr in deutschen Händen war. Jetzt sind es nicht mehr 66, sondern 30 Familien, die noch zusammenleben, und wir sagen zuversichtlich: „Landestreu ist noch nicht verloren!“ Aus dem Anlass der Bundesgründung dort rezitierte ein Mädchen ein Gedicht, in dem diese hoffnungsträchtige Stimmung gut zum Ausdruck kam und mit einigen Versen daraus schließen wir unsere Erzählung.

Joseph Schmidt

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