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Iwano-Frankiwsk (Stanislawów, Stanislau) und Zöcklersche Anstalten

Als Stanislawów (heute – Iwano-Frankiwsk) 1662 das Magdeburger Stadtrecht erhalten hatte, war Deutsch die Sprache des Handels und des Handwerks, die die größte Entwicklung damals erfahren hatten. In die Stadt kamen Kaufleute aus Bayern, Danzig, Bessarabien und Breslau. Exportiert wurden Getreide, Rinder, Pferde, Häute und sonstige Rohstoffe. Goldene und silberne Erzeugnisse sowie Stoffe wurden aus Breslau eingeführt.
 
In der österreichischen Zeit ab 18. Jh. siedelten sich in Knjahynyn, einem Vorort von Stanislawów, Deutsche an, hauptsächlich Bauern, Beamte und Handwerker. In dieser Zeit erhielt die Stadt mehrere Ämter von Wien verliehen und wurde zu einer drittwichtigen Stadt in Galizien. In Gerichten, im geodätischen und dem Steueramt waren viele Deutsche beschäftigt. Straßen wurden gebaut, der Handel blühte auf. Architekten, Ärzte, Händler und Militär in Stanislawów waren deutscher und österreichischen Herkunft. Die erste Buchdruckpresse besaß der Deutsche Johann Paul Piller. 1819 lebten in der Stadt ständig 29 deutsche Familien, sowohl katholische als auch protestantische. Der soziale Stand und die Herkunft der Deutschen in Stanislawów waren sehr unterschiedlich. Hier lebten Deutsche aus Mähren, Nachkommen schwäbischer Siedler, die aus anderen noch während der josephinischen Kolonisation gegründeten galizischen Kolonien hierher zogen.
In den 1860-er Jahren stieg die Anzahl der deutschen Siedler in Stanislawów an. Für den Bau der neuen Eisenbahnstrecke Lemberg-Tschernowitz und für die Arbeit in den Eisenbahnwerkstätten lud die Stadt mehrere Fachleute – Ingenieure, Meister und Facharbeiter - ein. Viele Stellen besetzten neu angekommene Deutsche. Eisenbahner siedelten sich im Stadtteil an, der durch die Straßen Bandera, Wysotschan, Schuchewytsch und Nesaleshnosti bis an die Kiewer Straße begrenzt war, an. Dieses Gebiet nennt man auch heute noch „deutsche Kolonie“. Hier sind ursprüngliche Häuser der deutschen Siedler mit netten Gärtchen erhalten geblieben.
 
Durch den ständigen Zuzug von Deutschen bildete sich in der Stadt eine Insel des Deutschtums heraus. Bei der Bevölkerungszählung 1880 gaben 6.998 Personen von den 18.627 Stadtbewohnern an, deutsch zu sprechen.
 
Deutsche Protestanten besaßen ein eigenes Kirchengebäude, das 1885 errichtet wurde. Die Kirche wurde in der Sowjetzeit absichtlich gesprengt. Die evangelische Kirchengemeinde wurde offiziell 1806 gegründet und hatte über längeren Zeitraum keinen eigenen Pfarrer, sondern gehörte zur Gemeinde Ugarstal. Der Pfarrer kam zweimal im Jahr zur Gemeinde und Gottesdienste fanden in den von der Stadt gemieteten Räumlichkeiten statt. 1892 kommt aus Preußen nach Stanislawów ein neuer Vikar, Absolvent der Universität Leipzig Theodor Zöckler (1867-1949) in Begleitung seiner jungen Frau. Er war erster und letzter ständiger Geistlicher der evangelisch-lutherischen Gemeinde Stanislawów.
 
Den Namen Theodor Zöckler als Menschenfreund und Wohltäter trägt heute die Hauptstraße der Stadt.
Die von ihm gegründeten Zöcklerschen Anstalten waren die größten in Mittel- und Osteuropa. Als erstes wurde das öffentliche Waisenheim „Bethlehem“, in dem später 200 Kinder wohnten, eröffnet. Danach wurde ein Pflegeheim für Alte und Geisteskranke, das Krankenhaus „Sarepta“, ein Kindergarten und ein weiteres Kinderheim „Nazareth“ gegründet, ihnen folgten eine deutsche Volksschule, späteres Gymnasium, ein Wohnheim für Lehrer und ein Wohngebäude für junge Vikare. Als letzte seiner Anstalten wurde 1932 das Deutsche Haus eröffnet – ein Gebäude für Versammlungen und Feierlichkeiten, das bis zu 1.000 Personen fassen konnte.
 
In seinen Anstalten wurden nicht nur deutsche, sondern auch polnische, ukrainische und jüdische Kinder erzogen und ausgebildet und alte Leute gepflegt und kuriert. Neben karitativen Anstalten, die durch Spenden unterhalten wurden, richtete Zöckler eine Fabrik für Landwirtschaftsmaschinen und eine Metallgießerei VIS (vom Lateinischen „vis“ – Kraft) ein. In dieser Gießerei erlernten junge Männer aus bedürftigen Familien die Berufe eines Gießers, Drehers, Schlossers, Schmieds und Tischlers. Bei der Gießerei gab es ein Wohnheim. Das besonders hohe Ansehen Zöcklers war der Grund dafür, dass die Gemeinde ihn 1924 zum Superintendenten, dem Oberhaupt der evangelischen Kirche in Galizien und Bukowina, wählte. Auch die neugegründete Ukrainische Evangelische Reformierte Kirche wählte ihn zu ihrem Bischof. Für Ukrainer predigte er in ihrer Muttersprache, Ukrainisch, für Deutsche in deutscher Sprache.
Als Hitler am 1. September 1939 Polen überfallen ließ, wurde Zöckler am selben Tag von polnischen Behörden festgenommen. Außer ihm landeten im Gefängnis weitere 140 Personen – Deutsche, Ukrainer und Juden, die Kommunisten waren. Aber 17 Tage später wurden sie alle vom Gefängnisdirektor persönlich entlassen. Bald darauf kam die Weisung zur organisierten Übersiedlung ins Reich. Am Wintermorgen des 25. Dezember 1939 wurden 1.300 Stanislauer Deutsche in 53 Eisenbahnwaggons verladen und in Richtung Przemyśl geschickt. So endete die Geschichte der deutschen Gemeinde in Iwano-Frankiwsk.

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